Sibirien, der Baikalsee und die Mongolei 2015
Mit etwas Verspätung starteten wir am 05.05.2015 zu unserer nächsten größeren Reiseetappe. Es ist wie es ist, wir
sind mittlerweile in einem Alter angekommen, in dem man Verantwortung für seine Eltern übernehmen muss.
Diesen Verpflichtungen sind wir nachgekommen und können jetzt wieder längere Reisen unternehmen.
Auf in den Deutz….
Am späten Mittwochnachmittag des 05. 05. 2015 starteten wir unseren Deutz. Über die A2 Richtung Hannover/
Hamburg mit dem Ziel Lübeck/ Travemünde ging es los. Starker Verkehr erwartete uns und … nach dem Abzweig
der Autobahn nach Bremen passierte es: Vollsperrung der A7!! LKW Unfall!!! Wartezeit 5-6 Stunden. So ein Sch…
,unsere Fähre nach Helsinki wartet bestimmt nicht auf uns…
Nach einer kurzen Diskussion mit einem Polizisten durften wir tatsächlich rückwärts auf der Autobahn bis zum
Abzweig Bremen fahren. In Verden verließen wir dann die BAB und fuhren über Land bis kurz vor Hamburg, dann
weiter auf der gewohnten Strecke nach Travemünde. Tatsächlich hatten wir nun noch reichlich Zeit, konnten
gemütlich im Deutz Abendbrot essen und gegen 24 Uhr rollten wir mit unserem Deutz in den dicken Bauch der
Fähre der Fährgesellschaft Finnlines. Todmüde fielen wir in die Kojen und ein erholsamer Schlaf machte uns fit für
die „kleine“ Seereise. Ein Highlight dieser Fährfahrt ist das Essen. Ein Brunch und ein abendliches Büfee in einem
unermesslichen kulinarischem Ausmaß war ein äußerst positiver Start in eine für uns noch unbekannte Welt.
Mit einstündiger Verspätung erreichten wir im dichten Nebel Helsinki, die weiße Stadt des Nordens. Eine gute
Beschilderung führte uns auf den ca. 5 km entfernten Viersterne-Campingplatz Rastila. Zwei Stunden später saßen
wir schon in der Metro, die uns in 20 Minuten ins Zentrum von Helsinki brachte.
Das Zentrum von Helsinki ist nicht sehr weitläufig, eher klein und überschaubar. Die wichtigsten
Sehenswürdigkeiten klapperten wir ab, den Hafen, die protzige rote, orthodoxe Kirche und die bescheidene weiße
Kirche. Nach so viel Pflastertreten gönnten wir uns in der sehenswerten Markthalle einen Kaffee. Unser Abendbrot
nahmen wir im Wohnmobil ein und mit einem Spaziergang im leichten Nieselregen entlang dem Wasser, beendeten
wir den heutigen Tag.
Den weiteren Tag in Helsinki hätten wir beinahe verschlafen. Spät wachten wir auf, nahmen rasch ein Frühstück ein
und wieder ging es mit der Metro Richtung Innenstadt. Mit einem Wasserbus fuhren wir weiter zur Seefestungsinsel
Suomenlinna. 1991 wurde die Festung als ein einzigartiges Beispiel europäischer Festungsarchitektur in die
Weltkulturerbeliste der Unesco aufgenommen. Bis es aber soweit war, hatte die Insel eine abwechslungsreiche und
bewegte Geschichte.
Die Kirche der Insel wurde 1854 als orthodoxe Garnisonskirche erbaut. Zu Beginn der finnischen Unabhängigkeit
in den Jahren um 1920 wurde die Kirche in eine evangelisch-lutherische Kirche umgewandelt. Im Kirchturm ist
noch heute ein Leuchtfeuer für den Luft- und Schifffahrtsverkehr eingerichtet. Der bereits vom Erbauer der Festung,
Augustin Ehrenwärd, entworfene große Hof der Festung wurde in den Jahren um 1760 als Hauptplatz der Festung
angelegt. Er wurde 1855 während des Krimkrieges durch Beschuss schwer beschädigt. Auf dem Platz befindet sich
das Grabmal des Erbauers. Die Karte bietet einen Überblick über die ursprüngliche Bastionsfestung und die
während der russischen Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Küstenverteidigungslinie mit den
Sandbankwällen und ihren Kanonen.
Frische Luft, Laufen und Kultur machten hungrig. Wieder auf dem Festland angekommen, stillten wir unseren
Hunger in einem der vielen Straßenrestaurants
Obwohl es hier nicht mehr richtig dunkel wurde, war es Zeit in die Koje zu hüpfen, denn am nächsten Tag wollten
wir Finnland verlassen und in den Westen Russlands einreisen.
Vyborg, 40 km hinter der finnisch-russischen Grenze sollte der erste Übernachtungsstopp werden. Es war der
9.Mai, 70 Jahre nach Kriegsende. Dieser Tag ist ein Nationalfeiertag in Russland und wird in jeder Stadt, in jedem
Dorf gefeiert. Über die gut ausgebaute E18, die immer am Wasser verläuft, erreichten wir schnell die Grenze. Die
Finnen taten ihre Pflicht, indem sie unsere Pässe und übrigen Reisedokumente gründlich und in aller Ruhe
kontrollierten. Nach ca. 20 Minuten konnten wir uns durch das sogenannte Niemandsland bewegen und gelangten
bald zum ersten russischen Grenzer, der sozusagen als Einweiser fungierte. Lächelnd wies er uns die rechte Spur
ein, denn die linke war für die „Kinderautos“, so der Wortlaut des Grenzers. Auch wir mussten, wie auch die
anderen LKW´s auf die Waage. 10,5 Tonnen. Jürgen meinte, dass wir auf der falschen Fahrzeugspur wären, denn
auf der sogenannten „Kinderautospur“ befanden sich auch Busse. Komisch, komisch!! Unsere Spur führte uns
weiter zur Grenzpolizei, wo wir sehr freundlich und mit einem offenen Lächeln begrüßt wurden. Wir staunten nicht
schlecht. Was war los?? Grenzen haben wir bislang immer anders kennengelernt. Eigentlich eher stur, um nicht zu
sagen unfreundlich. Aber, es ging freundlich weiter. Mit einer „Affengeduld“ und gaaaanz viel Ruhe half uns der
Grenzer beim Ausfüllen der Imigrationspapiere. Die anschließende Fahrzeugkontrolle beschränkte sich lediglich auf
eine kurze Sichtkontrolle. Das war es!!! Wir konnten es nicht fassen. Weiter ging es zum Zoll und wir landeten in
einer riesigen Abfertigungshalle. Männer… überall Männer… LKW-Fahrer. Wir stellten fest, dass wir hier falsch
waren. Aber nun gab es kein Zurück mehr. Ziemlich rat- und hilflos schauten wir in die Runde, bis uns ein LKW-
Fahrer darauf aufmerksam machte, dass wir an einem Automaten unser KFZ-Kennzeichen eingeben mussten, um
eine Abfertigungsnummer zu erhalten. Nr. 346!! Das bedeutete… laaaange Wartezeit. Aber, wir hatten die
Rechnung ohne unseren hilfsbereiten LKW-Fahrer gemacht. Diesmal führte er uns in ein Büro und erklärte der
Grenzerin unser Problem, das wir keine Brummifahrer sind, sondern einfach nur Touristen.
Nun lief alles wie geschmiert. Die nette Zöllnerin nahm unsere gesamten Dokumente, füllte für uns die Formulare
aus, brachte uns zu einem ihrer Kollegen, der wiederrum alle Dokumente abstempelte und von uns eine Unterschrift
verlangte. Der brachte uns nun zum letzten Grenzer, der lediglich eines der vielen Papiere behielt.
Über Spur 2 rollten wir nun durch das große Tor nach Russland. Das gesamte Prozedere dauerte lediglich 1.5
Stunden, umzingelt von netten und höflichen Fahrern und Grenzern. Na, bitte !!
40 km bis nach Vyborg waren schnell geschafft und wir fanden hier einen geeigneten Stellplatz für die Nacht in
unmittelbarer Nachbarschaft der Burgfestung. Vyborg ist eine baltisch mitteleuropäisch geprägte Stadt mit vielen
Kopfsteinpflasterstraßen und Gehwegen. Das gemütliche Städtchen gehörte ursprünglich zu Schweden, zeitweise
aber auch zu Finnland. Aus beiden Perioden ist Vieles erhalten geblieben. Am 9. Mai war die gesamte Stadt
geschmückt und das Kriegsende wurde gebührend gefeiert. Aus vielen, in der gesamten Stadt verteilten
Lautsprechern plärrte russische Musik, russische Volkslieder. Ein Feuerwerk beendete die Feier und leitete die
Nacht ein. Niemand nahm von uns oder unserem Deutz Notiz und wir hatten somit eine unaufgeregte Nacht.
Am nächsten Morgen rollten wir über die sehr gut ausgebaute M10 in Richtung St. Petersburg. Kurz nach
unserem Start hatten wir unsere erste positive Begegnung mit der russischen Polizei. Wir wurden lediglich darauf
hingewiesen, dass wir in Russland auch am Tage mit Licht fahren müssen. ßpaßiba! Danke, Danke!! 21 km vor St.
Petersburg an der E 18/ M10, man kann es nicht verfehlen, liegt das Hotel Olgino. Hinter dem Hotel ist Camping
möglich. Es gibt hier Toiletten und warme Duschen. Das Hotelgebäude ist verfallen und beherbergt Tagelöhner.
Aber.. die nette Rezeptionistin nahm für uns online die Registrierung vor. Mit einem Taxi ließen wir uns ins
„Venedig des Norden“ bringen, die „weiße Stadt“, Sankt Petersburg. Die Stadt ist visafrei zu erreichen und ein
absolutes Touristenmagnet.
Ein Fenster nach Europa wollte Peter der Große schaffen, als er sich 1703 den Grundstein für seine Stadt legte.
Durch den Bau der Peter und Paul Festung wollte der Zar den marodierenden Schweden Einhalt gebieten.
Zehntausende von Arbeitern waren mit dem Bau der Stadt beschäftigt. Sie mussten bis zur Erschöpfung arbeiten,
viele kamen dabei um. Entstanden ist ein Juwel, voll mit imposanten Sehenswürdigkeiten, mit prunkvollen Palästen.
Für Besucher bieten sich die Monate Juni/ Juli hervorragend zur Besichtigung der Stadt an. Es wird nicht mehr
dunkel und die Stadt pulsiert Tag und Nacht. Wir hatten aber nur einen Tag Zeit und bummelten im Zentrum. Der
Schlossplatz mit Generalstabsgebäude und Alexandersäule, sowie die Isaakkathedrale wurden von uns aufgesucht.
Über die 4.5 km lange Haupteinkaufsstraße, der Newsky-Prospekt, schlenderten wir zur Auferstehungskathedrale.
In einem wunderschönen russischen Restaurant aßen wir zu Mittag. Soljanka, eine typisch russische Suppe. Die
Wände bespannt mit feudalem Stoff, gediegene Möbel, ein weißer Flügel und ein Ober mit weißen Handschuhen
vermittelten uns alte St. Petersburger Atmosphäre.
Am späten Nachmittag holte uns „unser „ Taxifahrer in der Stadt ab und brachte uns zuverlässig zurück zum
Campingplatz. Wir waren so beeindruckt von dieser wunderschönen Stadt, dass wir bestimmt noch einmal an diesen
imposanten Ort zurückkehren werden.
Die M10/ E105 war bis zum äußeren Stadtring von Moskau unsere Straße, auf der wir uns in südöstlicher Richtung
bewegten. Das Straßennetz ist erstaunlich gut ausgebaut und die gute Straßenführung brachte uns flott durch die 4,5
Millionen große Metropole.
Die meisten PKW`s und LKW`s auf Russlands Straßen sind deutsche Fabrikate. Die gebrauchten Auflieger der
LKW`s sind aus unserer Heimat mit den unterschiedlichsten Beschriftungen. Wir sahen den Hagebaumarkt, die
Metro, Orion, der Erotikshop aus Flensburg und sogar Harry Brot. Auch die Damen vom ältesten Gewerbe der Welt
bezogen ihre Position direkt an der Hauptstraße und warteten auf Kundschaft.
Wir können nicht behaupten, dass diese Strecke interessant ist. Die Strecke führt uns immer geradeaus, die Gegend
ist flach mit unendlich vielen Kiefern- und Birkenwäldern. Dazwischen immer wieder riesige Felder bis zum
Horizont. Wir passieren armselige Dörfer, viele Häuser verfallen, in den wenigen Hütten ein paar Alte, die hier ums
Überleben kämpfen müssen. Einige Dörfer sind komplett verlassen und ähneln eher Geisterstädten. Wir verbrachten
die Nacht in so einem Dorf, auf einer Wiese, jedoch nicht ohne unsere „Nachbarn“ um Erlaubnis zu fragen.
Auf dem äußeren Ring von Moskau kamen wir trotz starkem LKW Verkehr in der lieblichen Landschaft gut voran.
Am frühen Abend fanden wir in einem größeren Dorf am Rande eines kleinen Wäldchens einen idealen
Übernachtungsplatz.
Koordinaten: N 56 Grad, 5`12 / E 39 Grad 14`45
Vorübergehende Leute wurden von Jürgen immer mit einem freundlichen „Dobre Dju“ (Guten Tag) begrüßt. Einige
Russen waren erstaunt, teilweise reagierten sie beschämt, andere erwiderten den Gruß freundlich. Nach einer
weiteren Übernachtung und einigen Kilometern erreichten wir Kasan, die schönste Stadt Russlands, so steht es im
Reiseführer geschrieben.
Direkt in der City, direkt am Fluss Kasanka, der sich hier mit der Wolga vereint, können wir auf einem bewachten
Parkplatz kostenlos stehen, der Chef des Platzes heißt uns herzlich willkommen, ist sehr erstaunt über unseren
Campingwagen. Danke!!
Koordinaten: N 55 Grad, 46`54 / E 49 Grad 7`41
Direkt vorm Gouverneurspalast, direkt unter dem Kreml und direkt am Wasser. Danke!! Kasan, das islamische
Zentrum Russlands vereint friedvoll die verschiedensten Glaubensrichtungen unter einem „Dach“. Wie wir
feststellen konnten, geht es doch!! Kasan ist eine junge, von Studenten geprägte, multikulturelle, sehr saubere Stadt,
hier befindet sich viel Industrie, unter anderem der Flugzeugbau. Also für uns bedeuten die nächsten zwei Tage
Kultur. Wir schöpfen die Tage voll aus mit Besichtigung des Kremls, der Moschee, einer Stadtrundfahrt im Escada
und, und und…, tollen kleinen Restaurants, Straßenmusikanten, etc. Abends lockt es uns an den Fluss. Wir wollen
spazieren gehen und den Abend genießen. Doch was ist das?? Eine weitere Flaniermeile mit exklusiven Restaurants,
einer tollen Beleuchtung, Sitzmöglichkeiten, Livemusik und Begrünung präsentiert sich uns vom Allerfeinsten.
Unglaublich!! Inliner, Mountainbiker, Läufer toben sich hier aus. Unglaublich auch die öffentliche Toilette. Eine
Frau mit weißer, gestärkter Schürze sitzt am Empfang und kassiert die 20 Rubel, ca. Die Toiletten, Waschbecken,
alles blitzblank. Und… siehe da… die Armaturen von Grohe, einer weltbekannten Marke aus Porta Westfalica
einem Nachbarort unseres Heimatortes.
Zwei sehr interessante Tage liegen hinter uns und den Ruf Kasans, die schönste Stadt Russlands zu sein, können wir
nur bestätigen. Wir verlassen den dicht besiedelten europäischen Teil Russlands.
Nun geht’s aber weiter… immer Richtung Osten, denn der Baikalsee ist unser eigentliches Ziel. Das Land zieht und
zieht sich. Wir streifen die Mittelgebirgslandschaft des Ural, trotzdem sind die höchsten Erhebungen im Land
oftmals nur die Kirchtürme. Die verschiedensten Landschaften unberührte, unendliche Flächen ziehen an uns
vorbei. Riesige landwirtschaftliche Flächen bis zum Horizont, bewirtschaftet mit kleinen Treckern und sonstigen
Ackergeräten, sumpfige, mit flachem Gestrüpp bewachsene Flächen, so weit das Auge reicht. Und immer wieder
verläuft die Straße schnurgerade, mal megaschlecht mit zig Schlaglöchern versehen, mal mit endlos langen
Baustellen, mal in einem superguten Zustand.
Tierwelt? Wir erwarten Rehe, Elche und sogar Braunbären, aber weit gefehlt. Wir sehen lediglich ein Reh.
Gute LKW`s, der Marken Scania, Volvo, Mercedes reihen sich wie auf eine Perlenschnur gezogen in beide
Richtungen aneinander. Was die wohl alles transportieren?
Am Samstag, der 24.05.15 führt unsere Fahrt auf der M53 Richtung Irkutz, Richtung Baikalsee. Die Zeit rennt,
haben wir uns doch Russland / Sibirien nicht sooo riesig vorgestellt. Wir wollen noch ein paar Tage am
Baikalsee verbringen, mit sightseeing, wandern, etc. Unser Visa für Russland läuft am 07.06.15 ab. Also rauf auf
die Piste und Kilometer schrubben. Doch so schnell kommen wir nicht vorwärts. Tiefe Spurrillen und Baustellen
zwingen uns immer wieder zum langsamen Fahren. Um 18.30 Uhr dann fahren wir dann endlich ab von der Bahn,
um einen Schlafplatz zu suchen. Jürgen hat wieder einmal den richtigen Riecher für einen tollen Platz. Am Fluss
Yenisey bei Krasznoyarsk gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wir nehmen den Platz direkt am Wasser oder wir
nehmen den Platz auf einer kleinen Anhöhe. Wir entscheiden uns für den Zweiteren, wenden den Truck am Ufer, um
auf die Anhöhe zu fahren.
Doch plötzlich: Jürgen bemerkt, dass wir ein Rad vom Truck verlieren, das hintere Linke! Schöne Schei…!!! Petra
hat Angst, dass der Wagen kippt, aber nichts passiert. Am Ufer steht ein dunkler PKW, wahrscheinlich ein Fischer.
Vielleicht sitzt er ja im Auto und kann uns helfen, zumindest vielleicht einen Werkstattwagen rufen. Petra klopft an
die verdunkelte Seitenscheibe des Fahrzeugs. Hallo, hallo!“ Nichts zu sehen. Plötzlich zeigt sich ein halbnackter
Mann. „Can you help us, we have a problem with our truck?!“ Ein wenig verwirrt, da beim Schäferstündchen mit
seiner Geliebten gestört, klettert der Mann halbnackt aus dem Auto, hüpft in seine Kleidung, bringt seine Haare in
Ordnung und geht mit Petra zum Deutz, um sich den Schaden anzusehen. Er bringt uns Bananen mit, da er meint,
wir könnten jetzt Nervennahrung gebrauchen. Er fängt an zu organisieren. Er versteht kein Wort deutsch, kein Wort
englisch und wir können kein russisch. Aber er telefoniert und telefoniert. Ein „Mechaniker“ kommt. Alle Bolzen
abgeschnitten, so lautet die erste Diagnose. Auch der mittlerweile prasselnde Regen machte die Situation nicht
angenehmer. Jürgen fährt den Deutz auf der Achse und mit nur drei Rädern in die Waagerechte. Man bockt den
Wagen auf, sodass wir erst einmal die Nacht hier verbringen können. Der „Monteur“ verspricht am nächsten
Morgen um zehn Uhr wieder hier zu sein, um weitere Maßnahmen einzuleiten und Reparaturen durchzuführen.
Unser Angebot von Wodka, Pivo oder Vino wird dankend abgelehnt. „ Doswidonje/ Auf Wiedersehen/ Bis
morgen!!“
Frohe Pfingsten, Sonntag der 25.05.15 ! Wir haben nicht oder schlecht geschlafen. Um 6 Uhr stehen wir auf, wir
sind unruhig. 1000 Fragen tun sich auf. Brauchen wir eine neue Achse? Wie können die Bolzen abgeschnitten sein?
Ist die Sache halb so schlimm oder müssen wir die Tour verkürzen? 10 Uhr! Niemand kommt! Jürgen hält Ausschau
nach dem Abschleppwagen. Nichts! Ein klappriger Lada kommt angeknattert und wühlt sich durch die hohen
Schlaglöcher. Unser „Monteur“ mit Kumpel steigt aus und bei genauer Betrachtung und Begutachtung wird
festgestellt, dass die Bolzen gar nicht abgeschnitten sind. Wir haben „nur“ die Schrauben vom Rad verloren
Warum? Keine Erklärung! Provisorisch wird das Rad aufgesteckt und wir können die gefühlten 10 km in die
Werkstatt fahren. Werkstatt? Ein Schrottplatz, auf dem jede Menge Leute herumwuseln und u.a. auch Schafe
geschoren werden. Jede Menge Leute probieren sich an unserem Deutz aus. Eigenes Werkzeug besitzen sie nicht,
als müssen sie auf unseres zurückgreifen. Es fängt an zu regnen. Kein Mensch mehr zu sehen, aber alles bleibt
stehen und liegen. Der Hof ist eine einzige Matschfläche, riesige Pfützen und Bäche durchqueren ihn. Einige
aneinander gereihte Bahnschwellen dienen als Arbeitsfläche. „Böse“ Hunde bewachen den Hof, angekettet, alt und
eher harmlos und träge. Ihr gedämpftes Bellen klingt müde und krank.
Als nichts mehr geht und läuft, wird eine Frau aus dem nahegelegenem Dorf geholt. Wir nennen sie Hilde. Sie
ist eine versprengte Wolgadeutsche und übersetzt unser Problem. Mit schwäbischem Dialekt. Uns wird gleich
wohler zu Mute, ist doch endlich jemand hier, der unser Problem versteht, wir nicht den nur russisch sprechenden
„Monteuren“ ausgeliefert sind. Hilde kann uns weiterhelfen. Sie kommt mit ihrer Enkeltochter, diese mit ihrem
Tablet, somit steht einer Konversation mit Translation nichts mehr im Wege. Gegenseitige Einladungen werden
ausgesprochen, der Ehemann soll uns mit dem Traktor abholen und wir sollen bei ihnen nächtigen. Danke, danke,
danke!!
Aber wir ziehen es vor, nun endlich den ADAC zu kontaktieren und bleiben natürlich bei unserem Deutz. Obwohl
wir beim ADAC nicht mit unserem Deutz versichert sind (zu groß, zu schwer) stellen er uns eine Verbindung zum
russischen Automobilclub her und dieser organisiert einen Abschleppwagen. Der Deal war, uns nun, mittlerweile
Abend, zum Stützpunkt des RAC zu fahren und uns am nächsten Morgen in eine lizenzierte Werkstatt für LKW`s zu
bringen. Unser Deutz wird verladen und wir müssen während des Transportes in unseren Koffer. Uns wird mulmig
und schlecht. Echt abenteuerlich. Wir können nicht sehen, wohin die Fahrt geht. Über eine Stunde dauert die Fahrt
ins Ungewisse. Wir gucken durch die kleinen Löcher unserer Fensterklappen, können aber nichts erkennen, da die
Landschaft an uns vorüberrauscht.
Der Abschlepper hält an, wir steigen aus, völlig orientierungslos, wir wissen nicht wo wir sind. Koordinaten geben
uns eine ungefähre Orientierung. Wieder sind wir auf einem Hinterhof, mehrere Abschleppwagen stehen hier, aber
wir sehen keine Werkstatt. Ist das der Stützpunkt des RAC? Juri, der Abschleppwagenfahrer sagt, wir sollen erst
einmal schlafen, am nächsten Tag ginge es dann weiter. Schlafen… soll das ein Witz sein? Die Nacht wird für uns
Beide schlaflos, Gedanken werden hin- und hergewälzt, abgewogen, verworfen, neu überdacht. Am nächsten
Morgens sprintet Petra los, um mit dem Chef des Ganzen zu sprechen, damit wir endlich in eine richtige LKW
Werkstatt kommen. Die Zeit rennt und unser Visa läuft. Der Chef des Hauses versichert uns, dass das Problem mit
dem Deutz in dieser „Werkstatt“ gelöst werden kann und schwupp… sitzt einer seiner Schrauber unter dem Deutz,
setzt den Wagenheber an, bockt das Auto hoch, holt das Rad runter und los geht es. Die Jungs, die Monteure sind
fleißig dabei, schrauben, holen Ersatzteile, lassen schweißen und… und… und. Sie fahren uns zum Duschen in eine
öffentliche Sauna, bringen uns zum Einkaufen in einen riesigen Supermarkt, der keine, aber wirklich keine
Wünsche offen lässt und organisieren einen Grillabend mit saftigen Steaks, frischem Gemüse und vielen, vielen
Getränken. Danke, danke!!
Koordinaten: N 56 Grad, 4`12/ O 92 Grad 56`10
www.artoangel24.ru
So nun geht’s aber wieder los. Nach vier Tagen Zwangspause auf einem Gelände, das nicht unbedingt zum Relaxen
einlädt, geht es endlich wieder los. Immer Richtung Osten, aber immer auf Hab-Acht-Stellung und immer das Rad
im Blick. Wir wollen keine Zeit mehr verlieren, kein sightseeing mehr, wir übernachten an LKW Raststätten, immer
an der M53. Hier können wir auch immer duschen, teilweise sogar Wäsche waschen.
Koordinaten: N 55 grad, 59`46 E 44 Grad 35`5
Vor Irkutsk durchqueren wir Orte, in denen uns die blanke Armut entgegenblickt. Sozialistische vergammelte
Hochhäuser und jede Menge Müll. Also legen wir lieber keinen Stopp ein. Aber wir fahren auch durch
wunderschöne Landschaften. Der Deutz zieht sich durch eine Berglandschaft, Serpentinen rauf und runter, gesäumt
von einem tiefgrünen, saftigen Wald. Nun geht es kurvenreich bergab und endlich… sehen wir ihn… den
Baikalsee. Unser auserkorenes östliches Ziel! Ernüchterung! Er liegt im Dunst. Eine verrostete Hafenanlage und
eine verwahrloste Kleinstadt, Kultuk, in der uns schon nach wenigen Augenblicken Straßenkinder empfangen,
präsentiert sich. Enttäuscht fahren wir weiter, finden keinen geeigneten Stellplatz am Baikalsee, da die sibirische
Eisenbahn direkt am See entlangfährt und der Deutz für die Tunnel zu hoch ist. Schade!
Im Selenga Delta können wir endlich mal direkt am Strand des Baikalsees übernachten. Im Hintergrund das Kloster
Polskoe, welches nach verschiedenen Nutzungen, wie Freizeitanlage und Heim für Behinderte, nun 30 Mönche
beherbergt. Ein friedlicher Ort, der auch von den Einheimischen gern zum Picknicken und Verweilen genutzt wird.